Unbelegt

Der letzte Veteran aus dem 2. Weltkrieg – ganz allein

Was klickt sich gut im Internet? Tierbabys bestimmt. Oder emotionale Bilder. Wie zum Beispiel ein weinender Mann. Vielleicht steht er ganz allein auf einer Straße. Mit Blumen und einem Luftballon in der Hand. Traurig. Gut! Was klickt sich noch besser? Eine passende Geschichte dazu! Also sagen wir, dass der Mann ein Veteran aus dem Zweiten Weltkrieg ist. Das kommt sicher gut an. Er ist auf einer Gedenkparade. Ganz allein, denn seine ehemaligen Kameraden sind schon gestorben. Herzzerreißend. Perfekt!

Über diese Bewertung

Woher kommt das Bild?

Eine spannende, nein, tragische Geschichte ist das. Nur stimmt sie halt nicht.

Bereits 2013 tauchte das Foto auf Reddit auf, 2015 nahm es dann aber richtig Fahrt auf. Vor allem im englischsprachigen Raum kursieren viele verschiedene Versionen, immer jedoch mit einer ähnlichen Bildunterschrift und dem Aufruf, den Post möglichst oft zu teilen, um den Helden zu feiern. Und wo Klicks lauern, sind deutsche Seiten auch nicht weit und posten das Bild auch noch gut zehn Jahre später. Emotionen sind eben ein Selbstläufer.

Das Originalbild stammt allerdings aus dem Jahr 2007 und wurde von dem russischen Fotografen Alexander Petrosyan geschossen.

Die Siegesparaden

Einmal im Jahr, am 9. Mai, finden in ganz Russland Militärparaden der russischen Streitkräfte statt, die an den Sieg über Nazideutschland 1945 erinnern sollen. Um eine unmittelbare Verbindung zwischen Vergangenheit und Gegenwart herzustellen, marschieren dort jedoch nicht nur derzeit aktive Soldat*innen, sondern auch Veteranen. Das sagt zumindest der Anthropologe Sergej Uschakin.

Ein unbekannter Mann

Die Siegesparade findet seit 1945 statt, so auch 2007 in St. Petersburg, als eben dieses Bild des weinenden Mannes entstand.

Doch wer ist er und warum weint er? Anhand der Caption könnte man vermuten, dass er traurig ist, als einzig Überlebender noch an der Parade teilnehmen zu können. Die größte Gewissheit hätten wir, wenn wir ihn selbst fragen. Das Problem: Niemand weiß, wer er ist.

Ich habe nicht mit ihm gesprochen. Ich habe nur das Foto geschossen.

Alexander Petrosyan

2016 versuchte bereits die britische BBC den Mann ausfindig zu machen und kontaktierte sogar den Veteranenverband von St. Petersburg, leider erfolglos. Auch Aufrufe des Fotografen selbst liefen ins Leere.

Auf Bildern, die nur Sekunden vor der uns bekannten Momentaufnahme geschossen wurden, sieht man, wie der Mann der Menge winkt und Blumen geschenkt bekommt.

Der Fotograf Alexander Petrosyan interpretierte die Tränen des Mannes als Frustration, da dieser sich im Umzug weit hinter den anderen Veteranen befand und es nicht schaffte, zu ihnen aufzuschließen.

Ist der Mann überhaupt Veteran?

Ungeachtet der Tränen kommt in den Kommentaren jedoch auch vermehrt die Frage auf, ob es sich bei dem Mann überhaupt um einen Veteranen handle.

Da niemand die Identität des Mannes kennt, kann auch das nicht abschließend beantwortet werden. Fotograf Petrosyan kann zum militärischen Status keine Auskunft geben.

Laut Dr. Igor Sutyagin, einem Experten des Royal United Services Institute for Defence and Security Studies – das ist ein unabhängiges Forschungsinstitut -, trägt der unbekannte Mann neben mehreren Jubiläumsmedaillen auch einen „Orden des Vaterländischen Krieges“. Dieser wurde durch die Sowjetunion an diejenigen verliehen, die im Zweiten Weltkrieg in der Armee eingesetzt waren.

Unwahrscheinlich ist es, dass der Mann einen hohen Rang hatte. Bei Siegesparaden tragen diese nämlich in der Regel ihre Militäruniform. Ein einfacher Soldat hingegen kleidet sich durchaus wie der Mann auf den Bildern.

Außerdem sagt Dr. Sutyagin, dass das Mindestalter in der Roten Armee in der Regel bei 17 Jahren lag. Wäre der unbekannte Mann also Anfang 1945 in die Armee eingezogen worden, wäre er 2007, als das Foto gemacht wurde, 79 Jahre alt gewesen. Durch eine Sonderregelung wäre es aber auch möglich, dass er zum Zeitpunkt des Krieges noch 13 Jahre alt war, 2007 dementsprechend 75 Jahre alt.

Stimmt die Geschichte?

Abschließend kann man also sagen, dass man nicht wirklich was sagen kann. Wir kennen den Mann nicht. Theoretisch ist es möglich, dass er auf dem Bild weint, weil er der letzte Überlebende seiner Truppe ist. Belegen lässt sich das jedoch nicht, daher ist es eine klare Spekulation und somit eine Falschaussage.

Glaubt man dem Fotografen Alexander Petrosyan, weint er, weil er den Anschluss zur Parade verloren hat.

Vielleicht ist er aber auch einfach nur überwältigt von der Freundlichkeit der Zuschauer*innen und freut sich über die Blumen, die er geschenkt bekommen hat.

Oder er hat einen süßen Hundewelpen gesehen und weint jetzt, weil Emotionen und Tierbaby zusammen der Garant sind, um unendlich Klicks bekommen. Wer weiß das schon, wir kennen ihn schließlich nicht…

Quellen:
bbc.com (EN), snopes.com (EN), telegraph.co.uk (EN), wikipedia.org (EN)

Bildquellen:

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